Für mehr als 1.600 Einsätze müssen die Frauen und Männer der Berliner Feuerwehr täglich mit ihren Fahrzeugen ausrücken. Aus deshalb wurde schon fast 150 Mal in diesem Jahr der Ausnahmezustand ausgerufen.
Das war mal wieder ganz großes Kino am 20. November: Mehr als 90 Einsatzkräfte der Berliner Feuerwehr mussten am Abend zu einem Brand in einem Hotel am Kurfüstendamm ausrücken.
Das Feuer war in einem Zimmer des fünfstöckigen Gebäudes ausgebrochen. Dass das Ganze glimpflich ausging und nur eine Person mit Rauchvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden musste, lag auch am beherzten und schnell organisierten Einsatz der Feuerwehr.
Dieser Umstand ist beileibe keine Selbstverständlichkeit in dieser Stadt, befindet sich doch die Feuerwehr selbst seit längerer Zeit in Alarmzustand.
Explodierende Zahlen
Ende September wurden in einer internen Mail des Landesbranddirektors Karsten Homrighausen alle Mitarbeiter darüber informiert, dass die Zahl der Einsätze im Vergleich zum Vorjahr um durchschnittlich 300 mehr auf täglich 1.600 gestiegen sei.
Explodierende Zahlen gebe es vor allem im Rettungsdienst, weshalb dort immer mal wieder der Ausnahmezustand ausgerufen werden müsse.
Und auch da liegt jetzt eine Zahl vor: Schon 149 Mal wurde in diesem Jahr der Ausnahmezustand ausgerufen. Eine Steigerung um sage und schreibe 100 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Hauptgrund: Es fehlt schlicht an Personal. Allein im Rettungsdienst sind bei der Berliner Feuerwehr 275 Stellen nicht besetzt.
Hinzu kommt eine – auch wegen Corona – außergewöhnlich hohe Krankheitsquote.
Höheres Anspruchsverhalten
„Wir sind ständig unter Strom, fahren von einem Einsatz zum nächsten, ohne mal zwischendurch zur Ruhe zu kommen“, erzählte Notfallsanitäter Leonard Bölke in einem Beitrag von Inforadio (rbb).
„Manchmal kehren wir gar nicht mehr zurück auf die Wache, werden gleich weiter zum nächsten Patienten gerufen. Und das zwölf Stunden hintereinander“, ergänzte sein Kollege Marcel Fahrenholz.
Nicht nur die beiden Sanitäter von der Kreuzberger Feuerwache Urban haben feststellen müssen, dass sich das Anspruchsverhalten der Berliner erhöht hat und immer öfter auch bei Kleinigkeiten der Notruf gewählt wird.
Zu wenige Fahrzeuge
„Manchmal rufen uns die Leute wegen eines eingerissenen Fingernagels oder kleiner Schnittwunde, die sie selbst verbinden und dann zum Arzt fahren könnten“, berichtet Fahrenholz.
Wenn dann ein Notruf einginge, müssten oft Rettungswagen aus weiter entfernten Wachen kommen.
Bölke erinnert sich an einen Einsatz in Pankow: „Das Stichwort war: Reanimation eines Kindes. Da zählt eigentlich jede Sekunde. Aber die Rettungswagen in Pankow waren alle im Einsatz. Und wir brauchten dann 20 Minuten. Zum Glück stellte sich vor Ort heraus, dass das Kind nur einen Fieberkrampf hatte.“
Man habe einfach zu viele Notrufe und viel zu wenige Fahrzeuge im Einsatz, beklagte der Sprecher der Berliner Feuerwehr, Thomas Kirstein im rbb. Es mangele einfach an qualifizierten Notfallsanitätern – und nicht erst in diesem Jahr.
Maximal gefrustet
Zuständig für den dringend benötigten Nachwuchs ist die Berliner Feuerwehr- und Rettungsdienstakademie.
„Die Ausbildung dauert drei Jahre und es geht gar nicht so schnell, dass wir genug Einsatzkräfte ausbilden können, die wir vielleicht jetzt schon benötigen“, erklärt Kirstein das Problem.
So hätten an der Akademie seit 2019 97 junge Frauen und Männer ihre Ausbildung abgeschlossen, doch nur 75 wollten bei der Berliner Feuerwehr bleiben.
Die Gewerkschaften hatten bereits vor drei Jahren mit der Aktion „Berlin brennt!“ auf die Situation bei der Berliner Feuerwehr aufmerksam gemacht.
Zwar sagte daraufhin die Senatsinnenverwaltung bessere Bezahlung und 1.000 neue Stellen zu, doch bis heute würden die Menschen fehlen, die diese Stellen besetzen.
„Im Grunde sind wir wieder an demselben Punkt wie vor drei Jahren. Die Kollegen sind maximal gefrustet und sie sind sauer, weil die Belastung so groß ist“, so Micha Quäker, Vorsitzender der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft Berlin-Brandenburg im rbb.
Moderne Diagnostik
Ein Grund für die Überlastung der ambulanten Notfallversorgung liegt darin, dass viele Menschen glauben, dass die Rettungsdienste und die Notaufnahmen der Krankenhäuser schnelle Hilfe und das ganze Spektrum moderner Diagnostik versprechen.
Doch der Schein trügt, meint der Grünen-Politiker Janosch Dahmen, früher selbst als Notarzt in Berlin im Einsatz. Er fordert eine Reform der Notfallversorgung per Gesetz.
So sollen zum Beispiel den Notarztpraxen zentrale Notaufnahmen vorgelagert werden, in denen qualifizierte Pflegekräfte und Ärzte die Dringlichkeit der Behandlung ermitteln und entscheiden, ob die Notaufnahme des Krankenhauses zuständig ist oder eine ambulante Versorgung vor Ort ausreicht.
Text: Manfred Wolf, Bild: imago/Frank Sorge