Ein Brandbrief prangert Zustände in den Jugendämtern an.

In einem Brandbrief aus dem Jugendamt Steglitz-Zehlendorf hieß es jüngst: „Muss denn erst ein Kind zu Tode kommen, dass die Verantwortlichen aufwachen?“ Die Unterzeichner beschreiben katastrophale Zustände: Präventionsarbeiten und Familienberatungen könnten nicht mehr angeboten werden, Mitarbeiter seien seit Jahren überlastet, immer wieder müsse über Wochen geschlossen werden, um Rückstände abzuarbeiten. Dazu seien die Krankenstände gravierend. Und der Kinderschutz? Der beschränke sich nur noch auf die schlimmsten Fälle.

Bedarf wächst

Dabei wächst der Betreuungsbedarf: 3.450-mal waren Berliner Kinder und Jugendliche im Vorjahr akut gefährdert – mehr als doppelt so viele wie noch vor vier Jahren. Sie wurden vernachlässigt, misshandelt, missbraucht. Laut Senatsangaben gab es die meisten akuten Fälle in Neukölln (843) und Mitte (572), die wenigsten in Pankow (90) und Reinickendorf (98). 42-mal mussten Minderjährige in Pankow außerdem als „vorläufige Schutzmaßnahme“ in Obhut genommen werden.

Hoher Krankenstand

Doch Personal-Engpässe gefährden auch in Pankow den Kinderschutz. In den Regionalen Sozialpädagogischen Diensten, Anlaufstelle bei Hilfen zur Erziehung und familiären Problemen, sind fünf Stellen unbesetzt. „Immer noch das zweitbeste Resultat berlinweit“, tröstet sich die zuständige Stadträtin Rona Tietje (SPD). Ein hoher Krankenstand erschwert die Lage jedoch zusätzlich. Besser zahlende freie Träger oder Bundesländer erschweren zudem die Suche nach neuen Sozialarbeitern. So hilft es nur bedingt, wenn ab Januar aus Mitteln der „Wachsenden Stadt“ sechs zusätzliche Stellen bewilligt sind. Berlin tut sich schwer, überhaupt Bewerber zu finden. Dabei scheint die Lösung klar: mehr Geld, mehr Personal, mehr Entlastung für die Mitarbeiter. Doch gerade am Geld hapert es. Eine Sozialarbeiterin ohne Berufserfahrung bekommt am Anfang etwa 1.690 Euro brutto, das sind monatlich rund 150 Euro weniger als in Brandenburg. Dieses Problem sieht auch Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD). Bei neuen Tarifgesprächen könne Berlin allerdings nicht allein agieren, ohne Gefahr zu laufen, aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausgeschlossen zu werden, sagt Senatssprecher Ilja Koschembar. Trotzdem setze sich Scheeres für eine bessere Bezahlung ein. Den Bezirken rät Koschembar, bereits bestehende tarifliche Möglichkeiten offensiver auszuschöpfen. Pankows Sozialstadträtin will den Bezirk als Arbeitgeber attraktiver machen. Neben besserer Bezahlung setzt sie sich für Weiterbildung, aber auch eine Verbesserung der räumlichen Arbeitsbedingungen ein. Um mittelfristig Behördennachwuchs zu finden, kooperiert sie mit diversen Hochschulen. Bezirksamt, Senat und Jugendämter planen gemeinsam, welche inhaltlichen Schwerpunkte die wachsende Stadt bezüglich des Kinderschutzes erfordere. „Da wir in Pankow keine lokalen Brennpunkte ausmachen können, sind wir dezentral am besten aufgestellt“, erklärt Rona
Tietje.

Daniel Seeger / Michael Hielscher, Bild: Getty Images/iStock/djedzura