Kultur: Wie aus einer leerstehenden Filmfabrik die Marzahner Musikfabrik ORWOhaus wurde.

Das erste Mal schallte morgens halb acht die Stimme von Rio Reiser über die Dächer Marzahns. Dann stand der Verkehr auf der Landsberger Allee still. 80 Besetzer des ORWOhauses hatten am 23. Juli 2004 die gesamte Allee auf Höhe der Pyramide gesperrt. Sie wollten Aufmerksamkeit, denn ihre unbefristeten Mietverträge waren wegen Brandschutzmängeln kurzfristig gekündigt worden. Die Eigentümerin TLG, eine Tochtergesellschaft der Treuhandanstalt, wollte nicht investieren. Aber keiner wollte gehen. Die Textzeile „Ihr kriegt uns hier nicht raus“ der Band Ton Steine Scherben war Begleitmusik. Sehr laut, immer wieder, bis in die Nachtstunden.

Viele Unterstützer

Der Kampf war erfolgreich. Die Besetzung führte zum Besitz. Schon im April 2005 wurde der Kaufvertrag unterschrieben. Seitdem ist die einstige Betriebsstätte des Film-, Tonband und Kassettenherstellers ORWO zu Europas größtem selbst verwalteten Proberaumhaus für etwa 700 Musiker mit 5.852 Quadratmetern Nutzfläche auf sieben Etagen geworden, inklusive Bandbüro für die Vermittlung von Aufträgen, Akquirieren von Fördermitteln und Partnerschaften mit Tonstudios, Labels, Fotografen und Journalisten. Denn damals konnten nicht nur die 340.000 Euro für den Kauf, sondern auch 600.000 Euro für Brandschutz und Sanierung aufgebracht werden, meint der damalige Protestführer André Szatkowski. Unterstützung kam von vielen Seiten. Udo Lindenberg besuchte die Widerständigen, Jeanette Biedermann schenkte 10.000 Euro, der damalige Kultursenator Thomas Flierl legte 50.000 Euro drauf, das Bezirksamt 10.000. Als der Kredit mit der Bank für Sozialwirtschaft zustande kam, gab die Stiftung Deutsche Klassenlotterie eine Million Euro dazu.

Neue Ideen

André Szatkowski kämpfte mit vollem Herzen, für ihn ging es „um mehr als ein paar versiffte Proberäume mit Schnapspullen“. Schon 1998 hatten Freunde und er die leerstehende Fabrik Höhe Rhinstraße entdeckt und mit Musik gefüllt, er als Schlagzeuger. Weiterhin wollte er „mit offenem Fenster Musik machen“ können. Also gründete er den Verein ORWOhaus e.V. und machte die monatelange Hausbesetzung öffentlich. Der Zusammenhalt wuchs und „Mauern wurden aufgemacht“. Neue Ideen schienen möglich. Das Haus sollte „unabhängig von öffentlichen Geldern“ werden. Nicht jeder teilt sein Ziel. 2007 gab es Reibereien, der Vorstand entzweite sich und André Szatkowski ging.Heute wird das Haus vom Verein verwaltet und projektbezogen gefördert. Vor knapp einem Monat gab es wieder Geld von der Deutschen Klassenlotterie. Mit den 537.000 Euro wird das Erdgeschoss ausgebaut. Für Anne Wolf, Sprecherin des ORWOhauses, ist die Geschichte ein Erfolg: „Wir sind die lauteste Platte Berlins“ scherzt sie.

Christina Praus / Bild: Anne Wolf