Nein, Laufkundschaft gibt es in der beschaulichen Ebereschenallee keine. Und das, obwohl sich der Kiosk von Christine Zettl unweit des Hultschiner Damms befindet, der so etwas wie die Lebensader im jenem Teil von Mahlsdorf südlich der Bundesstraße B1/B5 ist. Aber das stört die 52-Jährige weniger, schließlich sind ihre Besucher zum allergrößten Teil treue Stammkunden. Man kennt sich. Und auch nur so lässt sich ein Laden wie dieser am Stadtrand überhaupt rentabel führen.
Stammkundschaft wie die ältere Dame, die ihr E-Bike vor dem Geschäft mit Ständer abstellt, die Reifen sind für den Fahrradständer zu dick. Und sie holt etwas, das hier viele kaufen und das nicht unbedingt zum Sortiment in einer „Lottoannahmestelle“ gehört: Eier. Sehr große Eier. Die stammen vom Geflügelhof „Oderland“ aus Wriezen, im Osten Brandenburgs unweit der polnischen Grenze.
Ein Stück den Hultschiner Damm hinauf, bei der alteingesessenen Bäckerei Leumann, gibt es neben den legendären „Ostschrippen“ und der Brotspezialität „Mahlsdorfer Kruste“ diese Eier auch. Wenn Frau Zettl erzählt, wie sie zu den Eiern im Sortiment kam, dann kann man schon erahnen, mit wie viel Herzblut sie ihren Laden führt: „Im angrenzenden Brandenburger Ort Waldesruh gab es früher mal eine Molkerei, die uns beliefert hat. Und bei denen bin ich auf diese hochwertigen Eier aufmerksam geworden. Seit 26 Jahren werden wir nun direkt von ,Oderland‘ beliefert.“
Leere Eierkartons nimmt die Kioskbetreiberin gerne zurück: „Dann bestelle ich die Eier lose und packe dann um.“ Eine Abfallvermeidung der praktischen Art. Doch mit den Eiern nicht genug, hat Christine Zettl über die Jahre auch andere Spezialitäten aus dem Brandenburgischen für ihr Geschäft übernommen: Honig, ebenfalls aus Wriezen, „Hemme“-Milch aus Schmargendorf bei Angermünde, Säfte von der Kelterei Wilke aus dem benachbarten Fredersdorf.
Der Renner aber ist Fleisch aus der „Buckower Landfleischerei“, also nicht jenes berühmte Buckow mit dem Brecht-Weigel-Haus, sondern das Buckow in der Schorfheide nördlich von Eberswalde. Regelmäßig fährt Christine Zettl dorthin und holt Wurstdosen, abgepackte Frischwurst oder sogar Fleischbestellungen ihrer Kunden höchstpersönlich ab. Da findet sich die Rotwurst Thüringer Art ebenso wie die Hausmacherleberwurst oder verschiedene Sorten Knacker, die dann im Fleischkühlschrank im Laden angeboten werden.
Die Qualität der Fleischprodukte ist sagenhaft“, sagt Zettl und spricht dann jenen Satz aus, der ihre Arbeitsphilosophie auf den Punkt bringt: „Ich verkaufe nur Produkte, von denen ich sagen kann: Die sind mir selber schön!“ Und das träfe eben ganz besonders auf die Erzeugnisse vom Rind und Schwein aus Buckow zu. Und Christine Zettl bekommt leuchtende Augen, wenn sie sagt: „Zu Weihnachten hatten wir auch geräucherte Gänsebrust im Angebot, sehr lecker!“
Natürlich ist bei Zettls neben den Spezialitäten aus Brandenburg auch all das zu haben, was man sonst in einem Kiosk kaufen kann: Zeitschriften, Zeitungen, Zigaretten, Süßes, Glückwunschkarten, Getränke, BVG-Tickets, Lottoscheine. Zudem gibt es einen Paket-Service und das Angebot zur Textilreinigung, mit einer Hönower Reinigung, die auch Schneiderarbeiten in Auftrag nimmt. Der Paketservice hat eine angenehme Begleiterscheinung: So finden manche bei der Abholung oder Aufgabe ihrer Post diesen besonderen Kiosk, an dem sie sonst nie vorbeigekommen wären – und werden zu Stammkunden.
Angefangen hat alles 1990 kurz nach dem Mauerfall. Christine Zettls Mutter war schon zu DDR-Zeiten im Einzelhandel im Bereich Textilien aktiv und entschloss sich, einen Laden für Strickwaren und Getränke in ihrem eigenen Haus zu eröffnen. Beides gibt es auch heute noch in dem Laden, den Christine Zettl 2002 von der kranken Mutter übernommen hat. In einem kleinen Nebenzimmer stapeln sich die Wollknäuel. Vor dem Eingang steht mitunter ein Ständer mit alten Modezeitschriften, auch so eine Zettlsche Besonderheit.
Erneut betritt ein Stammkunde den Kiosk, Zeit für einen Plausch gibt es hier immer. Vor dem Eingang hat Christine Zettl manchmal einen Sonnenschirm gegen die Hitze postiert, oder auch eine Holzbank. Zum Glück muss sie den Laden nicht fast die ganze Woche über – dienstags bis freitags von 9 bis 18 Uhr und sonnabends von 9 bis 13 Uhr – allein schmeißen. Mit Frau Sapich hat sie eine Hilfskraft, die ihr stundenweise aushilft und von den Stammkunden sehr geschätzt wird. „Und wer mit uns beiden nicht kann, der kommt sowieso nicht wieder“, sagt Frau Zettl in ihrer sympathischen und angenehm direkten Art. Den Montag zum Schließtag zu ernennen, das wurde ihr vom Arzt empfohlen, „man wird ja nicht jünger“. Sie verschwindet wieder hinter ihrem Verkaufstresen.
Kiosk Christine Zettl Ebereschenallee 25, Mahlsdorf, Tel. 567 54 17, Di.–Fr. 9–18 Uhr, Sbd. 9–13 Uhr, Tram 62 und 63, Haltestelle Roseggerstraße
(Martin Schwarz)