Ein neuer Beschluss zur Arbeitszeiterfassungspflicht sorgt für Diskussionen. Viele Arbeitnehmer und -geber fragen sich: Kommt die Stechuhr zurück?
Als „Paukenschlag“ bezeichnete Gregor Thüsing, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Bonn, die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts für eine generelle Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Damit beruft sich das Gericht auf ein bereits im Jahr 2019 gefälltes Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Im sogenannten „Stechuhr-Urteil“ hatte der Gerichtshof die EU-Mitgliedsstaaten in die Pflicht genommen, ein System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Nun will Deutschland dieses Urteil also umsetzen.
Viele Arbeitnehmer und -geber fragen sich jetzt: Kommt die Stechuhr zurück? Und mit ihr die penible Zeiterfassung, die in den zurückliegenden Jahren der Vertrauensarbeitszeit und anderen flexibleren Modellen gewichen ist?
Rückschritt oder Absicherung?
Was erst einmal nach Kontrolle und Rückschritt klingen mag, hat meiner Meinung nach aber auch etwas Gutes. In meinem Freundeskreis gibt es einige, für die Vertrauensarbeitszeit vor allem eines bedeutet: jede Menge unbezahlte Überstunden. Einige von ihnen haben deshalb bereits begonnen, ihre Arbeitszeiten eigenständig zu notieren und Überstunden abzubummeln.
Keine Einzelfälle
Dass sie keine Einzelfälle sind, zeigen aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamts: Demnach haben 2021 durchschnittlich 4,5 Millionen Menschen mehr gearbeitet als in ihrem Arbeitsvertrag vereinbart. Das entspricht einem Anteil von zwölf Prozent. Davon haben immerhin 22 Prozent unbezahlte Überstunden gemacht. So flexibel Arbeitgeber bei der Wahl des Arbeitsortes ihrer Angestellten auch sein mögen: Geht es darum, Überstunden auszugleichen, scheint es mit der Flexibiliät nicht mehr ganz so weit her zu sein. Für diese 22 Prozent könnte eine Zeiterfassung also durchaus positive Folgen haben. Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz würden eher dokumentiert.
Mehr Vertrauen notwendig
Ohnehin muss eine genauere Zeiterfassung nicht zwangsläufig das Ende von Vertrauensarbeitszeit oder gar flexiblem Arbeiten – sei es im Homeoffice oder hybrid – bedeuten, sondern könnte vielmehr dafür sorgen, dass sich das Vertrauen in beide Richtungen auszahlt. „Wer schlussfolgert, die Arbeitszeiterfassung ist das Aus für Vertrauensarbeitszeit, versteht darunter ein weniger auf Vertrauen dafür mehr auf (unbezahlte) Überstunden basiertes Zeitmodell – Vertrauen, Flexibilität und Vertrauensarbeitszeit bleiben möglich“, fasst die Rechtsanwältin Kathrin Hartmann das Konzept auf Twitter zusammen.
Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftbundes (DGB), hält die Debatte um ein mögliches Aus des Homeoffices durch die Entscheidung ebenfalls für eine „Gespensterdebatte“. „Arbeitszeiterfassung darf man nicht mit Präsenz an einem Ort – zum Beispiel dem Büro – gleichsetzen.“ Stattdessen werden digitale Programme zum Einsatz kommen. Bis die Pflicht umgesetzt wird, müssen noch einige rechtliche Fragen geklärt werden, unter anderem, wie mit dem Datenschutz verfahren wird.
Wie sehen Sie die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung? Stimmen Sie auf unserer Startseite (rechte Spalte) ab!
Text: kr