Kentler Experiment
Sad, upset little boy sitting on the edge of his bed. Covering his face with hands.

Neuköllns Jugendstadtrat Falko Liecke fordert den Berliner Senat auf, endlich eine angemessene Entschädigung für Missbrauchsopfer durch das sogenannte „Kentler Experiment“ in der Berliner Jugendhilfe zu zahlen. Zudem fordert er eine klare Benennung der Verantwortlichen. 

Nachdem die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie im Juni 2020 den Ergebnisbericht der Universität Hildesheim veröffentlichte hat, war von Entschädigungen für die Opfer die Rede. Die Studie beinhaltete die Erkenntnis, dass jahrzehntelang „Kindswohlgefährdung in “öffentlicher Verantwortung“ stattfand.

Pädophile als Pflegeväter

Das Ausmaß dessen, was in der Studie so sachlich formuliert dasteht, ist jedoch kaum vorstellbar. Klar wurde, dass Jugendämter beim „Kentler-Experiment“ in Berlin seit dem Ende der 1960er-Jahre bis 2001 Pflegekinder an vorbestrafte Pädophile vermittelten. Ganz offiziell. Dem zugrunde lag die Annahme des umstrittenen Sexualwissenschaftlers Helmut Kentler. Er war der Leiter des Projekts und vertrat die Überzeugung, dass „sexuelle Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen nicht schädlich sind.“ Mehr noch: Pädophile seien in besonderer Weise als Pflegeväter geeignet.

So gab er Findelkinder aus Westberlin in deren Obhut. Jahrzehntelang stellte niemand die wegen sexuellen Missbrauchs vorbestraften Pflegeväter infrage. Nach außen hin lief schließlich alles bestens: Die Kinder waren weg von der Straße und mussten nicht in Heimen untergebracht werden. Die Pädophilen wurden nicht erneut straffällig – zumindest nach außen. Stattdessen missbrauchten sie ihre Pflegekinder in den eigenen vier Wänden.

Traumatische Kindheitserinnerungen

Dann meldeten sich einige mittlerweile erwachsen gewordene Kinder zu Wort. Von den einen sei das Leben „eine einzige Hölle“, andere schotten sich völlig von der Außenwelt ab. Sie alle haben gemeinsam, dass die traumatischen Erinnerungen sie noch heute tagtäglich beeinflussen.

Seit die ersten Opfer vor wenigen Jahren erstmals ihr Schweigen brachen, ist der Stein der Aufarbeitung ins Rollen geraten: Akten wurden durchwühlt, Befragungen durchgeführt. Berlins Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, Sandra Scheeres (SPD), kündigte Entschädigungszahlungen für die Betroffenen an. Bis heute erhielten die Opfer jedoch keine Entschädigungen.

 

Datum: 5. Januar 2021, Text: red/Anna von Stefenelli, Bild: getty images/djedzura